Tempelberg, Tel Aviv und eine laa-ange Rückreise

Montag, 27.03.2017

Was macht mehr her am am Toten Meer?

Sonntag, 26.03.2017

Das Reisegrüppchen bewegt sich heute schon so gegen 8.30 in die Hotel Lobby, denn der blaue Bus ist wieder da, samt seinem bestens gelaunten Fahrer Megdi. Er trägt heute eine elegant sportliche Jacke, denn es ist morgens noch kühl. So um die 12 Grad zeigt das Thermometer hier auf 800m über dem Meeresspiegel - hmmm. Sieht nagelneu aus, das Kleidungsstück. Sicher ein Geburtstagsgeschenk, das er sich von unserem Birthday-Bakschisch (Wiegenfest-Trinkgeld) geleistet hat. Heute verlassen wir für einen Tagesausflug die Stadt Jerusalem und begeben uns zum etwa 50 Kilometer entfernten Toten Meer.

Und nun zur Titelfrage. Welche Attraktion gewinnt denn nun das Rennen um die tollste Sehenswürdigkeit am Toten Meer? Zur Auswahl stehen:

1. Qumran - die legendäre Höhle mit den Schriftrollen -- oder ...

2. Der Ahava Kosmetik Factory Outlet Shop - oder vielleicht ...

3. Masada - die 200 m hohe Bergfestung, die die Römer jahrelang belagert haben  - ein Schauplatz schauriger Ereignisse, Dann wäre da noch ...

4. Der En Gedi Nature Reserve Park mit seinem erfrischenden Wasserfall und schließlich ...

5. Das Tote Meer selbst - dessen Ufer am tiefsten Ort der Erdkruste beginnt, zu dem man trockenen Fußes gelangen kann.

Schon nach gut 30 Minuten gibt es den ersten Stopp. Die ersten 700 Höhenmeter haben wir überwunden. Jetzt sind wir auf null Meter über dem Meeresspiegel angekommen und trotzdem geht es gleich noch steil bergab. Nicht nur die Höhe hat sich verändert - auch die Temperatur. Die Mannschaft nutzt den Stopp für einen Kleiderwechsel. Shorts, Shorts, Shorts - endlich kommen die Höschen zum Einsatz, denn heute werden wir keine heiligen Stätten besuchen - und heute wird es richtig warm.

 

Die Ausgrabungen von Qumran haben gerade ihre Pforten geöffnet, da sind wir schon drin. Leicht angeschwitzt stapfen die Exkursionsteilnehmer durch den Staub, entlang tiefer Zisternen und Mauerresten. Ein Film im Besucherzentrum erklärt, was hier alles mal gestanden hat. Eine fromme Glaubensgemeinschaft hatte sich hier vor knapp zwei Jahrtausenden zusammengefunden, um mitten  in der Wüste zu leben und zu beten. Sie nannten sich die Essener (mit Akzent auf dem mittleren  "e", sonst kämen sie ja aus dem Ruhrgebiet). Ihr prominentester Vertreter war Johannes der Täufer - der es aber nicht lange bei der Gruppe aushielt, weil die Einsiedel-Mönche hier den ganzen Tag nur die Heilige Schrift abschrieben. Die Schriftrollen wurden Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt -es sind die frühesten noch existierenden schriftlichen Bibeltexte. Man kann sie heute in einem spektakulären Museum in Jerusalem besichtigen.

So lehrreich das alles auch ist - wir müssen weiter. Zurück ins 21. Jahrhundert. Aus den Salzen des Toten Meers rührt der Kosmetik-Hersteller Ahava weltberühmte Salben, Cremes, Schlamm-Masken und andere Tinkturen. Ganz in der Nähe steht eine Fabrik mit Shop, an dem man natürlich nicht vorbeifahren kann. Da ja morgen leider schon der Heimflug stattfindet ist es höchste Zeit für ein paar Geschenke für die Lieben daheim. Schon werden Tuben, Tiegel und Flakons getestet. Eifrige Verkäuferinnen laden zu Probeanwendungen ein, so dass sich später im sonnengewärmten Tourbus die süßlich-schwere Duftwolke so richtig entfalten kann.

Na gut, ganz so wild ist es dann doch nicht, denn die Produkte haben ihren Preis und die Zeit war auch mal wieder zu knapp, um dem Shopping-Wahn verfallen zu können.

Die Straße führt jetzt direkt am Ufer des Toten Meeres entlang. Links erstreckt sich unter knallblauem Himmel eine ebensolche Wasserfläche, gesäumt von einem weißen Rand aus Salzkristallen und umgeben von schuttbedeckten Flächen. Rechts tauchen einzelne Büsche und hin und wieder einer Dattelpalmen-Pflanzung auf, dahinter erhebt sich schon das Gebirge mit der Festung Masada auf 200m Höhe - macht also insgesamt etwa 650m Höhenunterschied, denn wir bewegen uns gerade etwa 450m unter dem Meeresniveau. An dieser Beschreibung merkst du sicher, lieber Leser, dass die Szenerie so einmalig ist, dass sie sich kaum in Worte fassen lässt. Daher hier mal ein paar Fotos.

 

 

Ein Stück weiter entlang des Seeufers wartet schon das nächste Highlight. Mitten in der Wüste hat der liebe Gott sich dazu entschlossen, eine Quelle samt Flußlauf und Wasserfall zu installieren. Schon zu biblischer Zeit war die Ecke bekannt. Angeblich soll sich König David hier eine Zeit lang aufgehalten haben. “Der Mann hatte Geschmack“ stellt ein Mitglied unseres Expeditionstrupps fest, als wir nach 20minütiger Wanderung durch atemberaubendes (und den Atem raubendes) Gelände den Davids-Wasserfall erreichen.

Dort sind wir nicht allein, denn auch einige Schulklassen kennen diesen schönen Ort. Der Wasserfall sieht verführerisch nach kalter Dusche aus - etwas, das die Gruppe angesichts mittäglicher 30 Grad für angebracht hält. Allerdings hat die Parkverwaltung ein Schild aufgehängt, das wir zwar nicht so genau verstehen, das aber ziemlich nach “verboten“ und “nicht tun!“ aussieht. Den Kleinen wollen wir auch kein schlechtes  Vorbild sein und deshalb erfreuen wir uns nur an dem feucht-kühlen Luftzug, den das fallende Wasser verbreitet.

Vorbei an einem Rudel verschreckter Bergziegen (oder sind es doch Steinböcke oder Gemsen? Frag den Biolehrer) geht es zurück zum Bus. Der biegt wieder auf die Hauptstraße ein und fährt zurück Richtung Nordufer des Toten Meeres. Denn jetzt soll es endlich ins Wasser gehen. Unsere bisherige Badestelle aus den Vorjahren ist leider nicht mehr zugänglich, denn der Boden ist dort wegen unterirdischer Hohlräume abgesackt und er sackt weiter. “Sink Holes“ warnt das Schild. Im Norden wartet dagegen der “Biankini Beach“  auf uns, eine offizielle Badestelle mit Baywatch, Liegewiese aus Nylonrasen und allem drum und dran. Der offizielle Eintrittspreis ist zum Weinen hoch, aber Megdi, unser Allrounder hinter dem  Buslenker, kennt jemanden, der seinen Onkel dritten Grades kennt. Dessen Schwester ist mit dem Bruder des Bekannten ... undsoweiter. Jedenfalls verschaffen uns diese verzweigten Verwandschaftsverhältnisse Zutritt zum Strand.

 

Ganz schön glitschig ist hier das Gemisch aus schwarzbraunem Schlamm und Salzwasser und es erfordert schon Einiges an Geschick und Gleichgewichtssinn, bis man eine gewisse Wassertiefe erreicht hat. Aber die Mühe ist es wert. Instruiert von den pädagogischen Reiseleitern und unter deren wachsamen Augen gleiten die Monte-Pilger ins lauwarme seichte Nass. Wie auf einem plüschigen Sofa liegt man auf der Oberfläche. "Als wennze ne Luftmatratze gefrühstückt hättest" trifft es noch besser.

Der Schlamm ist nicht nur glitschig, sondern soll auch schön machen. Lieber Leser und besonders: liebe Leserin. Als Mann muss der Blogger hier mal hinzufügen: Er MUSS auch schön machen. Nicht dass dies irgendeiner unserer Gruppenmitglieder nötig hätte, aber die aufhübschende Wirkung braucht es schon für eine freiwillige Anwendung, denn das Zeug stinkt erbärmlich nach ... Schlamm eben.

Allah sei Dank (Er ist hier zuständig, denn hier ist palästinensisches Autonomiegebiet) stehen Duschen bereit, so dass das ölige Zeug schnell wieder runter ist. Später bei der Nachlese dieses aufregenden Tages hören wir: ja, es funktioniert - die Haut fühlt sich total weich an.

Auf dem Rückweg nach Jerusalem ist es relativ ruhig im Bus - jeder denkt jetzt daran, was heute abend noch passieren muss: Sachen packen und fertig machen zur Abreise.

 

Jerusalem für Insider

Samstag, 25.03.2017

  

Dies ist schon der zweite Tag, an dem die israelische Sommerzeit gültig ist. In der Nacht zu gestern stahl man uns eine Stunde Schlaf -- noch eine, denn zusammen mit der Stunde, die wir auf der Hinfahrt verloren haben, sind wir Deutschland um zwei Stunden voraus. Den ganz großen Unterschied macht das nicht. Der Muezzin vor dem Hotel ruft jetzt so gegen 5 Uhr morgens, nicht mehr um 4.

Um das Defizit ein wenig zu kompensieren marschiert die Gruppe heute wesentlich später los, als in den vergangenen Tagen. Das Frühstück wird bis nach 9 Uhr ausgedehnt - das ist ja fast schon wie Urlaub. Es bleibt Zeit, nicht nur einen Toast mit roter, sondern auch mal mit blauer und gelber Marmelade zu probieren. Die ganz Wagemutigen bedienen sich am Thunfischsalat - und es wird später sogar berichtet, dass selbst Wurst nicht verschmäht wurde.

Den Weg zum Jaffa Gate (Bild) kennt inzwischen jeder - und auch heute beginnt die Tour wieder hier. Am Schabat ist es merklich leerer in den Basars, so dass wir den Weg in gut 20 Minuten schaffen.

Es geht heute über die Stadtmauer im Halbrund um die Altstadt herum. Der Weg liefert interessante Einsichten in Hinterhöfe, Dachterrassen und Stadtgärten. Wir kommen zu Beginn an dem großen gelb-weiß beflaggten ("Ist das die Flagge von Malta?") Gebäude des Vatikans vorbei. Dann an einer Schule, deren (ausschließlich männlichen) Absolventen gerade auf den Beginn ihrer Abschlussfeier warten und die angesichts der (weiblichen) Touristen ein paar sehr unreife Gesten Richtung Stadtmauer schicken.

Der Marsch über die Mauer endet kurz hinter dem Damascus Gate. Eigentlich geht die Mauer weiter, aber aus Sicherheitsgründen hat man den Weg geschlossen. Ob die Umleitung durch das muslimische Viertel sicherer ist, ist eine Frage, die offen bleiben muss. Treppe hier, Tunnel da, rechts rum, sagt das Navi -- uns wir stehen ruckzuck an der Via Dolorosa, so etwa an Station 3 des Kreuzwegs.

In der Mittagspause zieht es Einige in die Restaurants in der Nähe, andere nehmen die Gelegenheit wahr, eine kuriose Sehenswürdigkeit aufzusuchen: Das österreichische Hospiz. Hier weht seit 1863 mitten in der Altstadt die rotweißrote Flagge, es gibt Apfelstrudel, Kaffee (pardon: es gibt Einspänner, Melange, Verlängerten und die ganze Palette der österreichischen Kaffeekultur) und sehr teutonische Fleischgerichte. Das Ganze gut bewacht von IDF Soldaten und im Garten hinter hohen Mauern versteckt.

Auf diese Weise gestärkt schlendert die Gruppe Richtung Lions Gate, biegt dann aber in eine Toreinfahrt und landet bei den Bethesda-Teichen, die vor mehr als 2000 Jahren die Wasserversorgung des nahen Tempels sicher stellten. Die Römer bauten noch ihre berühmten Aquädukte dazu und fertig war das erste Wasserwerk Jerusalems. Jesus hat hier binnen weniger Sekunden einen Mann geheilt („Steh auf, nimm dein Bett auf und geh umher!“, Joh 5,8) - und das an einem Samstag, am Schabat - nachdem dieser Mann jahrelang an der Quelle gelebt und erfolglos auf Besserung seines Gebrechens gehofft hatte.

Corinnas Fuß, den sie sich gestern kurz vorm Jaffa Gate vertreten hatte, hat so eine Behandlung gottseidank heute nicht nötig. Zusammen mit den anderen klettert sie durch die Ruinen. Hauptattraktion für unsere Reisegruppe sind heute aber nicht die Heiligen Wasser, sondern eine Katzenfamilie, deren diverse Kinder auf einem Vorsprung in luftiger Höhe kurz davor sind, in die Tiefe zu stürzen. Gerade als sich unsere sportlichen Jungs überlegen, wie man die Tiere durch eine kleine Klettertour im abgesperrten Teil der Anlage retten könnte, treibt die Reiseleitung die Gruppe zu einem Kurzbesuch in die St. Anna Kirche.

Die weitläufige Bethesda-Anlage wurde vor über 100 Jahren wiederentdeckt und ausgegraben. Seitdem wachen, wohnen und beten hier die "Pères Blancs", die Weißen Väter, eine französische Ordensgemeinschaft. Trotz des Namens liegt das Hauptgewicht der Ordenstätigkeit auf der Missionierung verschiedener Regionen Schwarzafrikas, weshalb die benachbarte St. Anna-Kirche Ziel vieler afrikanischer Pilgergruppen ist.

Die Kirche selbst ist ziemlich schmucklos, aber die Akustik ist weltberühmt. Afrikanische Gospelchöre bringen hier regelmäßig den Putz zum Bröckeln und schaffen 20 Sekunden Nachhall. Unsere durch zahlreiche Musikstunden und Gottedienste geschulten Stimmen können da nicht ganz mithalten. Schon bei der Auswahl des Repertoires gibt es Probleme. Wie war nochmal der Text von "Kleines Senfkorn?" Man einigt sich schnell auf "Da berühren sich Himmel und Erde" - das habe nur ein paar Zeilen Text und den Refrain könne ja jeder.

Und da auch gerade keine Konkurrenz in der Nähe ist - die Kirche ist fast leer - kommt es dann zu einer denkwürdigen Aufführung. Mit 12 Sekunden Nachhall. Etwas irritiert wendet sich anschließend der aufsichtführende "Père Blanc" an den (nebenberuflichen) Chorleiter. Er kenne das Lied jetzt nicht, aber er frage sich, ob Text, Melodie und Arrangement so vom Komponisten erdacht worden sei, oder ob der Chor heute Intonationsprobleme gehabt habe. Die Frage bleibt unbeantwortet. Wir gehen.

Die Gesangsaktion ist aber immerhin ein schöner Auftakt für den Kreuzweg, der gleich unten an der Via Dolorosa beginnt. Wir steigen so etwa bei Station drei ein. Diese und fast alle anderen Stationen liegen heute mitten im arabischen Viertel - und hier ist immer reichlich Betrieb.

Gerade wenn die christlichen Pilger kommen, laufen die Verkäufer links und rechts zur Hochform auf. Da kostet es schon Anstrengung und Konzentration, als die Gruppe versucht, an der ein oder anderen Kreuzweg-Station gemeinsam ein kurzes Gebet zu sprechen. Es gelingt ganz gut - und wir bekommen einen kleinen Eindruck, wie es Jesus ergangen sein muss, als er hier vor 2000 Jahren etwa um die gleiche Tages- und Jahreszeit das Kreuz durch die vollen Gassen und auf den Kalvarienberg geschleppt hat.

Wie immer ist das natürlich nur die halbe Wahrheit, denn die Wissenschaft hat zweifelsfrei festgestellt, dass Jesus eigentlich ganz woanders langgelaufen sein muss. Der Verlauf der heutigen Via Dolorosa und die einzelnen Stationen wurde erst im späten Mittelalter festgelegt. Uns ist es aber authentisch genug.

Schließlich schieben wir uns durch einen kleinen Durchgang - hier ist es SEHR voll - und stehen vor dem Eingang zur Grabeskirche. Sicherheitskräfte regeln den Verkehr - es scheint Prominenz in der Nähe zu sein, denn Teile des Platzes sind abgesperrt und die Presse ist da.

Und zack hat sich ein Kameramann unsere Lisa geschnappt und sie vor die Linse gezerrt. Demnächst wird sie also in einer italienischen Doku zu sehen sein, wie sich dann herausstellt. Dabei kann sie gar kein italienisch.

Ein Ruck geht durch die Menge, denn die Gitter werden abgebaut. Alles strömt durch den Eingang hinein ins Halbdunkel. Schätzungsweise 5000 Menschen versuchen gleichzeitig, das Grab zu finden - eine Kirche in der Kirche. Längst hat sich die Montegruppe aufgeteilt. Während eine kleine Schar Unentwegter nicht vor der endlosen Schlange vor dem Eingang zum Grab Jesu zurückschrecht und dort fast zwei Stunden ausharrt, versuchen andere, den Berg Golgatha zu erklimmen. Die Kirche ist auf dem Berg errichtet worden und nach kurzem steilen Aufstieg über in paar speckige Treppenstufen steht ein Teil unserer Gruppe tasächlich vor der Stelle, an der das Kreuz gestanden hat (oder haben muss). Und belohnt werden sie auch noch, denn hier ist es gerade gar nicht so voll. Erstaunlich, dass viele die Gelegenheit gar nicht wahrnehmen wollen, sich die Stelle ganz genau anzusehen.

Vermutlich sind sie geschockt von dem gänzlich unfrommen Touristenrummel, der sich hier abspielt. Es ist laut wie in der Bahnhofshalle zur Rush Hour, Selfies werden gemacht, Ellenbogen werden eingesetzt, Blitzlichtgewitter überall. Fehlt noch der Eisverkäufer.

An einem länglichen Stein, der mit hunderten silbernen Lampen und Weihrauchfässern dekoriert ist, spielen sich seltsame Szenen ab. Es soll die Stelle sein, an der Jesus während seiner Totensalbung gelegen haben soll. Frauen werfen sich auf den Stein und küssen die Oberfläche, eine andere holt Schmuck aus einer Plastiktüte und reibt sie über den Stein. Ein Mann stellt ein Gefäß auf, eine Wasser- oder Ölflasche viellecht - legt einen Schal drunter und kippt das Gefäß um. Daneben schüttet jemand einen ganzen Berg Plastikkreuze aus, um sie dann gleich wieder einzusammeln. Religiöser Wahn ist das glaube ich noch nicht, aber so kurz davor.

Frisch renoviert und vorgestern erstmals seit 70 Jahren ohne Gerüst: Das Grab Jesu.

BMMG Kinder sind ja von Natur aus neugierig und geben sich nicht mit dem Normalen zufrieden. Eine weitere kleine Gruppe hat sich an den Massen vorbei den Weg ins Innere der sehr verwinkelten mehrstöckigen Grabeskirche gebahnt und wird Zeuge einer (ich glaube) koptischen Gebetsstunde. Unwillkürlich wird man an den Film "Der Name der Rose" erinnert, als etwa zwanzig kapuzenbedeckte Gestalten mit langen Bärten und prächtigen Gewändern  in einer Nebenkapelle anfangen zu beten und zu singen. Weihrauchfässer werden dazu geschwenkt und zusammen mit der Kerzenbeleuchtung hat das schon ein wenig was Unheimliches.

Den Eltern unter den Blog-Lesern sei noch mitgeteilt, dass alle Gruppenmitglieder von hier aus selbständig den Weg nachhause ins Hotel gefunden haben. Langsam werden sie zu Jerusalem-Profis.

 

Gaanz schön steil.

Freitag, 24.03.2017

Wer es vorher noch nicht wußte, der hat es gestern gemerkt: Jerusalem ist auf Hügeln gebaut. Und das ist noch untertrieben. Heißen die Hügel doch zurecht ZionsBERG, ÖlBERG, TempelBERG und so weiter. Damit die ausgeschlafene Reisegruppe möglichst viele Facetten  der berühmten Stadt erleben kann, kombiniert das Tagesprogramm am heutigen angenehm temperierten Freitag gleich zwei Höhe(n)punkte.

 

Los geht es mit dem Zionsberg. In gut 20 Minuten schaffen wir unsere Stufen bis zum Dung Gate, legen noch einen Spurt durchs ebenfalls treppenreiche jüdische Viertel hin, ziehen die Gruppenmitglieder weg vom Schaufenster des besten Bäckers der Stadt und verschwinden flugs durch das Zionstor. Gleich außerhalb der Stadtmauer liegt die Dormition Abtei, betreut von deutschen Benediktinern.

Kaiser Wilhelm Zwo war nicht nur der letzte deutsche Kaiser und etwas wirr im Kopf. Er war auch großer Jerusalem-Fan und als solcher um die Jahrhundertwende aus dem fernen Deutschland in die heilige Stadt gereist, Er hat dieses Fleckchen Erde einst erworben, eine Kirche finanziert und das Ganze dann dem Orden vermacht. Und warum das alles? Hier ist nach alter Überlieferung der Sterbeort der Muttergottes.

Die kleine BMMG Abordnung begibt sich in die Krypta und zündet vor der dort ruhenden Marienstatue das ein oder andere Kerzchen an. Es ist angenehm ruhig hier – ganz anders als draußen, wo Pilgergruppen inzwischen den Berg in Besitz nehmen. Schon kommen die nächsten vierzig, fünfzig Männer und Frauen um die Ecke, alle mit orangenen Hüten bedeckt und angeführt von einem Touristenführer, der eine ebenfalls orangefarbene Fahne hoch hält. Sieht alles sehr lustig aus, finden die stilbewußten Krefelderinnen. Wie es wohl aussähe, wenn man die 2018er BMMG Israel-Gruppe mit leuchtend blauen BMMG Käppis ausstatten täte? Und vorneweg zwei Lehrkräfte, die eine gigantische BMMG Logo-Fahne vorantragen...

Minuten später hat unsere Delegation Sehenswürdigkeit Nummer zwei erreicht. Nach ein paar Stufen erreicht man den Abendmahlssaal. Hier soll es gewesen sein, das letzte Abendmahl. Etwas uninspiriert und überhaupt nicht beeindruckt schaut sich die Gruppe in diesem Raum um. „Kein Tisch da,“ heißt es von links, Das ist zweifellos fein beobachtet. Genau genommen stimmt hier gar nichts. Der Raum ist erst gut 800 Jahre später entstanden, liegt dafür aber günstig direkt neben dem Eingang zum Grab  von König David. Damit hat ein findiger mittelalterlicher Tourismusmanager zweifellos eine gute Idee gehabt. Auch das Grab von König David wird von uns besucht.

Hier ist schwer was los. In einem kleinen Vorraum drängen sich schwarzgekleidete Orthodoxe. Einige sitzen auf Gebetsstühlen, andere haben ihre Schriften auf Stehpulte gelegt. Im noch kleineren Nebenraum steht der Sarg des ersten Königs der Juden – auch er wird kräftig bebetet. Man spricht nicht gemeinsam, sondern jeder murmelt, singt oder schreit seine Botschaft heraus. Einer schaukelt den anderen hoch, bis die Gewölbe dröhnen. Wir gehen wieder und erfahren von den Damen, dass auf ihrer Seite zwar auch gebetet wird, aber ohne dieses ganze Spektakel. „Männer!“ kommt es von irgendwoher.

Wir wollen weiter, aber Jan und Felix sind gerade im Gespräch mit einem jüdischen Beter, der ihnen eine Art Visitenkarte zusteckt. Wollen sie etwa konvertieren? Wir ziehen sie aus dem Raum.

Am Grab von Oskar Schindler hören wir dessen Lebensgeschichte. Als „Gerechter unter den Völkern“ ist er einer der wenigen Deutschen, die hier auf dem christlichen Friedhof am Zionsberg begraben liegen. Nur 3 von 20 anwesenden Schüler/innen haben den Film „Schindlers Liste“ gesehen. Na gut, die Veröffentlichung ist ja auch schon eine Weile her. Als Israelreisender, der sich mit dem Holocaust beschäftigt, ist der Film aber ein Muß – trotz einiger kitschiger Passagen.

Das soll dann für den Vormittag auch genug sein. Die etwas müde, aber immer noch motivierte Truppe spaziert entlang der Stadtmauer zum Jaffa Gate, wo es eine längere Pause gibt. Die Altstadt Basare locken ebenso wie die moderne Mamila Mall. In beiden kann man Geld ausgeben, aber während in der Mall alle Waren mit Preisschildern versehen sind, sucht man diese in der Altstadt - besonders bei den arabischen Händlern - vergebens.

Hier ist hartnäckiges Verhandeln angesagt. Da wir unzweifelhaft als Touristen identifiziert werden können, beginnen die Händler ganz oben auf der Preisskala. Ein schöner Kaschmirschal beginnt bei 120 Schekeln (35 Euro), der gewiefte Kunde winkt ab und murmelt, das Ding sei doch nur weniger als die Hälfte wert - der Händler in der Parallelstraße habe Schöneres, Besseres im Angebot. Es kommt dann als Nächstes leichte Bewegung in den Preis. 100 Schekel ist schonmal ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch viel zu viel. Bei 50 wäre man bereit, nochmal drüber nachzudenken, bietet der Kunde an. Der Händler jammert, das sei unfair, denn seine Kosten seien höher. In dieser Phase heißt es hart bleiben. Der Tourist sollte sich jetzt zum Gehen wenden. In der Regel wird er dann zurück gerufen, etwa mit "Zwei für 150!" oder einem ähnlichen Freundschaftsangebot. Dann kann man langsam den Endpreis ins Visier nehmen: Für 60 nehme ich den einen, könnte die Reaktion lauten.

Diese Taktik lässt sich für alle angebotenen Waren anwenden, auch für Jesus in der Krippe - wobei das mit dem Mengenrabatt hier so ne Sache ist.

Du siehst, lieber Freund dieses Blogs, hier ist Geschick, Menschenkenntnis und Ausdauer angesagt. Und Mitleid ist Fehl am Platz, denn 60 für den Schal ist immer noch ein guter Preis  -- für den Händler. Das merkt der Tourist spätestens dann, wenn er eine Straße weiter läuft und den Schal für die Hälfte angeboten bekommt.

Die längere Pause ist so gegen Viertelvorzwei vorbei. Entspannt und gestärkt sitzt die Gruppe am Jaffa Gate und macht sich bereit für den zweiten Teil des Tages.

Ziel ist nun das Lions Gate am anderen Ende der Altstadt, von wo es dann später auf den Ölberg gehen soll. Der Reiseleiter hat allerdings noch einen kleinen Umweg eingebaut. Heute ist ja Freitag, der Haupt-Gebetstag der muslimischen Bevölkerung, und am frügen Nachmittag machen sich die Gläubigen auf in die verschiedenen Moscheen rund ums Damascus Gate im arabischen Viertel. Genau da hin lenkt Hamke nun seine Schritte, wobei die 20-Personen-Schlange schon bald Mühe hat, "dranzubleiben". Der Weg geht mal wieder mitten durch den Souk und es gibt einige Richtungsänderungen. Sie müssten doch eigentlich die Stelle beim Bäcker kennen, denkt sich der Mann an der Spitze - da geht es im Zickzack zur Klagemauer -- aber nein: heute müssen wir nach links. Schon haben wir drei, vier Teilnehmer verloren, denn das Gewühl wird immer dichter.

 

Wie Zahnpasta durch die Tube schieben sich die Menschen jetzt durch die Gassen. Die Auslagen einiger Stände werden in Mitleidenschaft gezogen, denn die Menge  muss sich durch diverse - heute viel zu enge - Torbögen quetschen, um ans Ziel zu gelangen. Kinder drohen von den sich drängenden Leibern erdrückt zu werden, Frauen versuchen, sich von Männern fern zu halten und umgekehrt, jede Berührung zu vermeiden - aussichtslos.

Als in dieser Situation nicht hilfreich erweist sich die Tatsache, dass wir dem Strom der Menschenmassen entgegen gehen, müssen wir doch gerade jetzt in die andere Richtung.

Liebe Leserin und lieber Leser dieser Zeilen; wenn ihr der Meinung seid, dass das ganze Geschiebe in Platzangst, Hysterie und Panik enden könnte, dann ist das nicht ganz falsch. Bemerkenswert ist aber, wie die Beteiligten größte Vorsicht und größten Respekt walten lassen, damit jeder ans Ziel kommt. Auch wir mit unseren Rucksäcken, die wir leicht als "Ungläubige" Touristen erkennbar sind, werden nicht etwa weggedrängelt und beschimpft. Man versucht uns, so gut wie möglich Platz zu machen und uns durch zu lassen. Assistiert werden wir heute von einem schmächtigen Brotverkäufer, der seine Ware in einem großen Karton in der Nackenbeuge balanciert ind sich in unsere Richtung bewegt. Er bahnt uns den Weg bis zu einer Wegkreuzung, an der es dann wirklich nicht mehr weiter geht. Die Gruppe - inzwischen irgendwie in der Menge verschoben und geteilt - flüchtet in eine Seitengasse, um die Lage zu besprechen.

Man könnte die menschenleere Parallelstraße benutzen, meint das Fußgänger-Navi. "Langweilig" ist allerdings die Reaktion auf diesen Vorschlag. Wir versuchen es lieber mit einer neuen Taktik, fassen uns an die Schultern und schieben uns als Personenzug durchs Getümmel. Das geht fünd Minuten gut; dann werde die einzelnen Waggons getrennt.

Schließlich erreichen wir leicht zerzaust, aber soweit unversehrt das Löwentor "Lions Gate"

Bevor es den Ölberg hinauf geht, führt der Weg erst einmal ins Tal. Hier am Fuße des "Mount of Olives" besuchen wir das Mariengrab. Das Grab der Gottesmutter wird hier seit dem 4. Jahrhundert vermutet und verehrt. Der Ort ist eindrucksvoll -- so eindrucksvoll, dass manche Delegationsteilnehmer ihn für die Grabeskirche von Jesus halten.

Wer ist wohl schon alles über diese breiten, speckigen Stufen ins Halbdunkel der Grotte hinuntergestiegen? Unfallfrei erreichen wir das Grab, das in einer kleinen Nische unter einem Altar untergebracht ist.

  vor der Getsemani Kirche

Gleich daneben ist der Eingang zur Getsemani- Grotte. Hier hat Jesus am Gründonnerstag gebetet und im Garten nebenan wurde er bekanntlich von Judas verraten. Angenehme Stille empfängt unsere kleine Pilgergruppe. Ein Geistlicher sorgt für Ordnung und Geleit. Er verteilt am Ausgang kleine Ölzweige, und - nein, er will kein Geld dafür.

Der Garten Getsemani scheint dagegen heute ein Epizentrum des Pilgertourismus zu sein. Größere Gruppen marschieren an den uralten Olivenbäumen vorbei Richtung der "Kirche der Nationen", angeführt von ihren Fähnchenträgern. Etwas weniger organisierte Guides schwenken auch schonmal eine leere Wasserflasche über dem Kopf, um die Gruppe zusammenzuhalten. Ist ihnen klar, dass die Olivenbäume hier vermutlich die ältesten Lebewesen sind, die sie je zu Gescicht bekommen haben? 

Die Fragen, die sich aus dem Szenario von diversen Kirchen, Garten und Ölberg ergeben, veranlassen den Lehrkörper dazu, erst einmal eine Nachhilfestunde in Sachen biblischer Geschichte einzulegen. Die Vielzahl von heiligen Stätten hat das Zeug dazu, einen jungen Menschen historisch und religiös ordentlich zu verwirren, selbst wenn er eine bischöfliche Schule besucht.

Auch in die Kirche der Nationen - die "Todesangstbasilika" - blicken wir kurz, bevor wir rechts um die Ecke biegen und den schmalen asphaltierten Weg betrachten, der auf den Ölberg führt. "Da kann man ja mit dem Auto hoch" - stellt ein Mitglied der Reisegruppe verwundert fest. "Wo ist denn eigentlich unser blauer Bus? Kommt der gleich?" möchte jemand wissen. "Jesus ist hier auch zu Fuß hoch", versucht Hamke die Gruppe angesichts der 25% Steigung zu motivieren. Er verschweigt dabei geflissentlich, dass Jesus vermutlich auf einem Esel hier heraufgeritten ist.

Es hilft also nichts - wir müssen da hoch. Jesus hat zwischendurch eine Pause eingelegt - dort, wo heute die schöne Kapelle "Dominus Flevit" mit dem berühmten Fenster steht. Der lateinische Name bedeutet "Der Herr weinte." - Er weinte aber nicht über den Zustand seiner Füße nach dem Marsch hier herauf, sondern die Bibel berichtet, Jesus habe hier beim Blick auf die Stadtmauern eine Vision gehabt, in der er den Untergang der Stadt Jerusalem vorhersah. Und etwa 40 Jahre später ist es dann ja auch passiert.

Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir (...).

Von hier ist es nur noch ein kleines Stück bis zum Gipfel. Insgesamt hat der Aufstieg inklusive Pause nur 45 Minuten gedauert. Rekordverdächtig. Gut, dass uns das Wetter hier schon den ganzen Tag mit freundlichen 18-19 Grad entgegen gekommen ist.

Der Gipfel ist, gemessen an der Anstrengung, eher unspektakulär. Die Sicht ist natürlich toll - aber sonst? Gäbe es da nicht den legendären Kamelbesitzer, der seit Jesus' Zeiten dort oben auf Touristen wartet. Sein Kamel ist vermutlich in all den Jahren auch nicht ausgewechselt worden. Es sieht ziemlich ramponiert aus, vor allem an den Knien. Wir glauben dem Kamel-Mann, dass das so sein müsse und dem Kamel auch gar nichts ausmache. Nach kurzen, aber harten Verhandlungen ist der Preis für einen Ritt auf schülerfreundliche 4 Euro gesunken, so dass sich der ein oder andere Jockey auf das schwankende Wüstenschiff wagt.

 

Die Sonne fängt schon an, leicht schräg zu scheinen, als das Ende des Tagesprogramms in Sichtweite kommt. Drei, vier BMMG Pilgerinnen haben in der Ferne das Hotel erspäht und lassen deshalb den vorläufig letzten Punkt der heutigen Agenda aus: Die Paternosterkirche. Auch sie ist auf dem Ölberg angesiedelt. Hier soll Jesus den Jüngern das Vaterunser beigebracht haben. Wir gehen hin.

Das Vaterunser lässt sich hier in 220 Sprachen studieren - Kirche und Garten hängen voller Schrifttafeln. Wir entscheiden uns heute für Plattdeutsch und für einen Indianerdialekt. Mit beiden haben wir so unsere Probleme bei der Aussprache - und trotzdem klingt es immer wie das Vaterunser. Faszinierend.

Der Tag endet für einige Montessorianer im Hotel. Gut 15 Kilometer sind sie heute durch die Stadt gelaufen. Eine größere konditionsstärkere Gruppe schafft es noch zurück in die Altstadt, um zu Beginn des Schabat an der Klagemauer zu sein.

Waren es heute Mittag noch tausende Muslime, die die Altstadtgassen bevölkerten, so sind es jetzt mindestens genau so viele Juden, die, alle in Schwarz, mit langen Mänteln und kuriosen Hüten, zur "Western Wall Plaza" strömen. Viele Soldatinnen und Soldaten feiern ebenfalls in der heiligen Stadt freitags abends die Rückkehr von ihren Missionen.

 

Jerusalem von oben und unten

Donnerstag, 23.03.2017

Marie ist heute unsere Gastbloggerin.

Nach einer kurzen Nacht für die meisten dank des Muezzin, der tagtäglich um 4Uhr morgens sein Gebet spricht, stand auch nun das erste Frühstück im Panorama Hotel in Jerusalem an. Ein eher bescheidenes und außergewöhnliches Frühstück erwartete uns im Panorama Hotel. Durch die Renovierungen in der sechsten Etage, hatten wir einen herrlichen Ausblick auf die alte Stadt. Um 8:30 holte uns auch schon unser alt bekannter MOOT-Bus ab, der uns zu der Gedenkstätte Yad Vashem brachte.

Yad Vashem erzählt uns die Geschichte des Holocaust auf eine besondere Weise, dazu aber später mehr. Uns erwartete erst einmal eine Führung von einem deutschsprachigen Museumsführer und auch Headsets durften wir aufsetzen, um unseren Guide Jonathan auch immer gut zu verstehen. Denn das Museum ist heiß begehrt und dementsprechend auch sehr voll. Man sollte wissen, dass einem nicht nur die Geschichte vom Holocaust vermittelt wird, sondern die Geschichte eines einzelnen Menschen. Und genau das fanden viele Schüler sehr schön, denn dadurch konnte man sich viel besser in die Situation hineinversetzen. Das Highlight des Museums ist definitiv die Gedenkstätte für die verstorbenen Kinder während des Holocaust. Wir wurden in einem dunklen Raum geführt mit tausenden von Lichtern. Eine Stimme erzählte uns im Hintergrund die jeweilige kurze Biografie des Kindes. Nachdenklich gingen wir aus der Gedenkstätte raus und viele Fragen stellten sich wie unteranderem: „Was hätte aus den Kindern werden können? Ärzte; Künstler oder doch Lehrer?"

Durch großes Glück hatten wir die Möglichkeit, einen zweiten Holocaust Survivor zu treffen. George Shefi erlebte den Holocaust nicht wie jedes Kind mit, sondern als Transportkind. Er musste sich von seiner Familie trennen und reiste mit vielen weiteren Kindern nach England und wuchs dort auf. Nach vielen Jahren ohne Eltern und Geschwister fand er seine Familie wieder.

Danach machten wir die Stadt vom Jaffa Gate aus unsicher und strömten in die vier verschiedenen Viertel von der Altstadt Jerusalem : arabisches, jüdisches, armenisches und das christliche. Ein kleiner Schock erwartete uns schon auf den ersten Metern. Viele Menschen, verschiedene Kulturen, schmale Gassen und ein naja außergewöhnlicher Geruch, der in einigen Gassen aufzufinden war.

Vor allem wir als Touristen sind für die Händler ein gutes Geschäft. Hier auf den Basaren ist feilschen angesagt. Ein nettes Beispiel zeigt der Preis von Tüchern. Bei dem einem Händler kostet ein Tuch 45 Schekel und bei dem anderen nur 20 Schekel, daher heißt es für die nächsten Tage lieber einmal öfters schauen und gut verhandeln, als nachher viel zu viel bezahlen zu müssen.

Nach der kleinen Exkursion stand auch schon die nächste heilige Stätte der Juden an. Und zwar der Westen Wall Tunnel, der über 500m lang ist. Der Western Wall Tunnel ist noch näher am ehemaligen Tempelberg dran und daher für die jüdisch Gläubigen ein noch heiligerer und bedeutenderer Ort. Auch dort bekamen wir wieder eine Führung von einem sympathischen jungen Mann, der uns die Geschichte der historischen Mauer näher brachte.

Nach einen wirklichen langen Tag voller Informationen vom Holocaust bis zu über das richtige Feilschen auf dem Basar, traf auch die Gruppe der 20 Schüler und Schülerinnen im Hotel wieder ein. Diesmal hatte der Muezzin morgens um 4 nicht den Hauch einer Chance, den Schlaf der Delegationsmitglieder zu stören. Alle schliefen durch. Fast alle.

Toda Haifa -- Hallo Jerusalem

Mittwoch, 22.03.2017

Ach, was sind das für herzzerreißende Szenen, die sich da am frühen Morgen vor der Reali School abspielen. Junge Menschen, die sich erst vor wenigen Tagen begegnet sind, liegen sich in den Armen – und das gleich rudelweise. Irgendjemand ist sogar so vorausschauend gewesen, einen Karton Zewa Tücher mitzubringen. Denn der Tag des Abschieds ist gekommen. Zwar nicht für immer, denn schon im Herbst gibt es ein Wiedersehen in Krefeld, aber das nützt heute nichts.

Weil der Antrag auf eine morgendliche Freistunde zwecks standesgemäßer Verabschiedung der deutschen Gäste von Yehuda mit einem freundlichen „Who are you? I don’t know you.“ beantwortet wird, kann die Montessori-Pilgertour relativ pünktlich beginnen. Denn ab heute reihen wir uns in den Strom indonesischer, koreanischer, deutscher, amerikanischer und weiterer unidentifizierbarer Reisegruppen ein, die die heiligen Stätten hier in Galiläa besuchen.

Erste Station ist der Berg der Seligpreisungen. Das Briefing zu diesem Ort übernimmt Jan, der sogar ein Handout mit allen relevanten Bibelstellen mitgebracht hat.

Wir ergattern einen der Open-Air Gebetsplätze und hören von Lynn auch noch etwas zur Wasserwirtschaft Israels und die Bedeutung des See Genezareth. Der hat sich heute Morgen komplett in Nebel gehüllt. Man sieht nix. Dazu ist es auch noch stark bewölkt. Womit wir beim Wetter wären.

In Israel erleben wir derzeit eine kleine Klimasensation, hätten aber gern drauf verzichtet. Es ist der kälteste März seit 30 Jahren. Autos freikratzen müssen wir zwar nicht – denn wir haben gar kein Auto hier -  aber des Nachts werden die Temperaturen einstellig. Wäre ja nicht schlimm, aber israelische Wohnungen und Häuser sind für die kühle Witterung einfach nicht ausgestattet. Meist keine Heizung, undichte Fenster und nur notdürftig isoliert. Das dürfte auch für Hotels aus den 70ern gelten –und ganz sicher für das Hotel in Jerusalem.

Doch bis dahin sind es noch etwa 200 km. Und noch ein paar Haltestellen. In Tabgha bewundern wir Bodenmosaike und hören die Geschichte von der Brotvermehrung, die hier stattgefunden haben soll.

Etwas weiter steht der Fels, dem Petrus seinen Namen verdankt. Hier am Ufer des Sees hat Jesus ihn gefragt, ob er sich zutraue, sein Werk weiter zu führen. Frederik ist vermutlich der Leichteste von uns und damit der ideale Kandidat für einen Spaziergang übers Wasser. Das soll hier ja funktionieren. Frederik lehnt nach kurzem Blick auf die unvorteilhaft aussehende braune Brühe des Sees dankend ab mit dem Hinweis, er habe seinen neuen Sneakers an und wolle jetzt grade nicht übers Wasser laufen.

Noch ein Stück weiter liegt Kafarnaum, Heimat von Petrus und von weiteren Jüngern. Das wissen auch die indonesischen Pilger, die wir schon am Berg der Seligpreisungen getroffen haben. Die Busse auf den Parkplätzen sind auch immer die gleichen. Es erinnert alles ein wenig an das Lied mit der Karawane.

Da bietet sich doch genau an dieser Stelle für uns ein Kontrastprogramm an. Unser Geburtstagsbusfahrer lenkt daher sein Gefährt am Ostufer des Sees entlang zum Eden Resort Kibbuz Ma’agan. Die Kibbuzniks haben hier schon vor längerer Zeit aufgehört, als Bauern zu leben. Ihr Grundstück direkt am Südufer des Sees ist jetzt ein beliebter Ferienpark mit Schwimmbad, Wellness und Liegewiese. Also genau das, was der Israel-Reisende nach so vielen heiligen Stätten  braucht. Einen Ort der Ruhe und Entspannung. Leider hat das Resort noch geschlossen, aber wir dürfen trotzdem rein und suchen uns ein schönes Plätzchen.

Und siehe da: wie durch Zufall schafft es die Sonne endlich, den Nebel aufzulösen und die Sonnenanbieter entsprechend zu bedienen. Na, ob das alles Zufall ist? Natürlich nicht. Die vielbeschäftigten Reiseleiter haben es nämlich nicht versäumt, in der Brotvermehrungskirche eine Kerze anzuzünden. Das hilft immer.

Der See ist hier einladender als noch in Kapharnaum auf der Nordseite. Tatsächlich verstoßen dann bedauerlicherweise einige BMMG-Pilgerinnen und Pilger gegen das bezirksregierungsverordnete Nichtschwimmergebot und tauchen in die Fluten des See Genesareth ein – so überliefern es uns wenigstens später diejenigen, die es gesehen haben. Der Lehrkörper hat zu diesem Zeitpunkt nämlich gerade dem Ort des Geschehens den Rücken zugewandt, weil er ein interessantes Detail an der Holzverkleidung der geschlossenen Eisbude studiert.

  

Drei Minuten weiter erreicht der Bus Yardenit -  die Stelle, an der Jesus von Johannes dem Täufer im Jordan getauft worden sein soll.

Kurz überlegen wir, es Jesus gleichzutun, denn im Shop läßt sich das Täufer-Kit, bestehend aus langem weißen Gewand und einem Rabattgutschein für die live produzierte Video DVD für 35 Dollar billig erstehen. Angesichts des Zustand des Jordanflusses  - einer schmutzig grünen Brühe mit allerlei Getier drin – findet dann doch keine BMMG Wiedertaufe statt. Unsere indonesischen Freunde, die uns schon den ganzen Tag zu den heiligen Stätten folgen, lassen sich aber nicht abhalten und taufen munter drauflos. Als Erinnerung an diesen Ort wandern einige Plastikflaschen mit Original Jordanwasser in die Rucksäcke. So richtig einladend sieht die abgefüllte Flüssigkeit auch in den mäßig schicken 3 Dollar Plastikfläschchen nicht aus. Egal – die Lieben daheim freuen sich sicher, und das ist die Hauptsache.

Damit ist der See zur Hälfte umrundet und Megdi schwenkt auf die Landstraße nach Jerusalem ein. Diese führt uns durch Palästinensergebiet, das aber von Israel kontrolliert wird. Es rumpelt und holpert ganz schön, denn es handelt sich hier um  eine der wenigen Straßen-Direktverbindung zwischen Nord und Zentral-Israel. Beim Straßenbau ließen sich die israelischen Behörden generell viel Zeit, sagt Hotelchef Mohammed später. In der Westbank und in Ostjerusalem sehe es noch düsterer aus. Seit 60 Jahren sei kein Straßenbauprojekt mehr angegangen worden. Die Piste unter den Reifen des Tourbusses muss also noch von den Briten geteert worden sein. Dafür wiederum fährt es sich noch ganz angenehm.

 

90 Minuten dauert es, dann biegt Megdi rechts ab und verläßt die Straße, die genau an der Grenze zu Jordanien verläuft. Das Tagesprogramm war wohl doch anstrengender als gedacht – oder ist es das leichte Schaukeln des Busses, wenn er über die Bodenwellen fährt? Jedenfalls tritt plötzlich eine meditative Stille im Bus ein. Die Sonnenblenden sind heruntergeklappt und Jacken – wer braucht sie schon? – werden zu Kopfkissen. Schlaf ist nötig für junge Leute, aber schade ist es schon, wenn draußen die Farbe der Landschaft von grün zu braun zu beige wechselt und der Reisende dieses Schauspiel verpasst. Schon nach einer Stunde Fahrt ist von den Wiesen und Plantagen Galiläas nichts mehr zu sehen. „Jetzt weiß ich, wovon in Erdkunde die Rede ist, wenn der Begriff ‚unfruchtbarer Boden‘ benutzt wird.“ meint ein Mitglied des besten Geografiekurses der Welt.

Das Panorama-Hotel liegt im Ostteil der Stadt. Die meisten Reisenden haben vor Beginn des Austauschs außer bei den Informationstreffen in der Schule und im Cafe Oje keine weiteren Recherchen mehr betrieben. Entsprechend groß ist der Kulturschock, der sich schon beim Blick aus dem Busfenster einstellt. Die arabische Welt im Ostteil der Stadt hat andere Wertvorstellungen, als man so von zuhause gewohnt ist.

 

Der Bus fährt durch das Ras-al-Amud Viertel. Vorbei geht es an Obsthändlern, die ihre Stände fast bis zur Fahrbahnmitte ausgedehnt haben. Dazwischen wäscht ein 8jähriger Junge Papas Auto – einen verbeulten Subaru-Toyota. Zwei Beine, die unter einem Auto hervorgucken sagt uns: aha – eine Werkstatt. Aus der Einfahrt dahinter rangiert ein Lastwagen mit Bauschutt rückwärts in den laufenden Verkehr. In das Konzert der Motoren und Baugeräte mischen sich --- Stimmen. Arabische Männer (Frauen sind nicht zu sehen) schaffen es mühelos, sich akustisch über diesen Klangteppich zu erheben. Die arabische Sprache scheint auch wie gemacht für diese Art Konversation.

Das Hotel ist aus den Siebzigern und seit je her in Besitz einer arabischen Familie. Es hat nicht ganz den Standard europäischer Häuser, um es mal vorsichtig auszudrücken. Irgendwie funktioniert die Ausstattung, aber manchmal muss man auch hoffen und beten, dass etwas klappt. Steckdosen zum Beispiel sind dazu da, Strom abzugeben. Sie müssen ja nicht schön aussehen oder vollständig in der Wand stecken. Mit einem Dreifachstecker versehen versorgt eine Dose den ganzen Frühstücksraum mit Energie. Zwei Wasserkocher und ein Toaster? Kein Problem, wenn man nicht ans Kabel fasst. Weitere Bespiele ließen sich nach Belieben anfügen (Fenster, Heizung, Frühstück, Aufzug, Wlan, Dusche …).

Diese kleinen Komfort-Defizite werden aber durch viele Vorteile ausgeglichen. Familie Aweidah, die mit Onkel, Tanten, Enkel, Großeltern und diversen angeheirateten Cousins, Cousinen und Schwippschwagern das Hotel führen, kümmern sich rührend um die deutschen Gäste (und die anderen natürlich auch). Das Hotel bietet grandiose Ausblicke auf die Altstadt, der Felsendom begrüßt den Gast täglich mit seiner goldenen Kuppel und der Weg dorthin ist mit ca. 20 Gehminuten auch nicht unmenschlich weit.

Verzichten können hätte die Reisegruppe aber auf die Nähe zur Stadtteilmoschee. An „Allahu Akbar“ morgens um 4 muss man sich gewöhnen. Auch die zweihundert soundsoviel Treppenstufen, die zwischen Hotel und dem Stadttor Dung Gate liegen, können den untrainierten (Lehr)Körper ganz schön ins Schwitzen bringen.

Nach kleinen Korrekturen an der Zimmerverteilung und am Mobiliar macht sich die ganze Gruppe Richtung Klagemauer auf den Weg. Noch ein kleiner Sicherheitscheck wie am Flughafen und man kann den Platz betreten. Und was sieht der Tourist? Schwarz gekleidete Herren mit seltsamen Hüten - und wir mittendrin. Wir haben immerhin eine Kippa.

Das ist der Orient

Dienstag, 21.03.2017

Recht früh bricht heute der letzte Tag des Aufenthalts unserer Reisegruppe in den Familien an. Fast alle Gastschwestern und brüder sind dabei, als der blaue MOOT Bus nach Nazareth und Akko aufbricht. Den Anfang macht aber ein kurzer Stopp in der German Colony in Haifa. Die Häuser dort wurden vor der Jahrhundertwende von frommen Deutschen errichtet und bilden so etwas wie den Beginn der Entwicklung für Haifa.

Interessanter ist aber das Straßenschild, das die Grenze der „Colony“ markiert. Ein Gruppenbild ist hier nicht nur ein Muss, es ist Kult - und das seit dem ersten Austausch 2010.


Kurz fahren wir auch die schöne Klosterkirche Stella Maris an und testen dort unsere Lateinkenntnisse. Wir finden heraus, dass Stella Maris Stern des Meeres bedeutet. Wer oder was damit gemeint ist, bedarf dann ebenfalls der Klärung – alles unter den gnädigen Augen der goldglänzenden Statue der Madonna mit dem Kind.

 

Nazareth ist den meisten Exkursionisten auch nicht direkt ein Begriff. Was wurde denn da so Wichtiges verkündigt oder verkündet, dass da eine imposante Basilika errichtet worden war? Keine Angst, verehrter Freund dieses Reiseblogs: als wir wieder abfuhren, war auch diese große religiöse Wisssenslücke kleiner geworden.

 

Nazareth ist inzwischen eine muslimisch geprägte Stadt. Es gibt zwar etwa 20 christliche Kirchen, aber der Islam ist auf dem Vormarsch. Rein akustisch entsteht eine tolle Mischung, wenn der Muezzin loslegt und gleichzeitig die Glocken dazu läuten.

   

Der blaue Bus hat einige Mühe, aus der völlig zugebauten, engen Stadt herauszukommen. Jetzt bloß keine Pilger umfahren. Auch die haben es schwer, denn sie müssen wegen der Souvenirhändler immer wieder auf die Fahrbahn ausweichen.

Eine Stunde später sind wir wieder am Meer. Nördlich von Haifa liegt Akko – etwas abseits der üblichen Touristenströme. Hier schauen wir uns die grüne Moschee an. Hübsch verhüllt mit eigenen oder ausgliehenen Kopftüchern wird der Besuch zu einer lustigen Sache. „Mekka is da vorne, ne?“ will ein Besucher wissen, nachdem er einen Blick in den Gebetsraum geworfen hat. Der ungenannte Besucher beweist zumindest in dieser Religion Grundkenntnisse.

Und schon geht es in den Basar. Schon von Weitem kann man ihn riechen – und er riecht nicht gut. Ob der Fischhändler, der seine übrigens ungekühlte Ware direkt am Eingang anpreist, Schuld ist? Vielleicht sind die Geruchsorgane der ausländischen Gäste zu empfindlich. Eher nicht, bemerkt der Blogscheiber, denn auch unsere Gastgeber rümpfen die Nase. Also doch der Fischhändler, denn der weiße Nugat und die süßen Walnüsse vom Nachbarstand sind es eindeutig nicht. Die finden auch mehr Anklang bei den BMMGlern.

 

Da es für eine Bötchenfahrt zu windig ist, kehren wir um. Die Farewellparty ruft. Laut muss sie rufen, denn die Location liegt in einem Drusendorf im Carmel Gebirge - ziemlich weit draußen, ohne Hausnummern und Straßennamen. Aber die Fahrt lohnt sich, denn alle sind da und die netten Gasteltern von Lynn und Laura haben sich verdammt ins Zeug gelegt. Drusische Spezialitäten in rauhen Mengen aus eigener Herstellung landen auf dem Buffet. Im Halbdunkel der Gartenterrasse kann man nicht immer sehen, was genau sich in den Töpfen und Alupfannen befindet. Alles schmeckt aber ausgezeichnet. Der Fotograf konnte gerade noch den Moment vor der Buffet- Eröffnung verewigen.

Niemand hat am Ende etwas bezahlt - immerhin knapp 50 Gäste sind heute eben mal so eingeladen. Tolle Gastfreundschaft. Als Gegenleistung könnten Lynn und Laura noch ein bisschen länger bleiben, schlägt die Frau des Hauses vor. Hergeben wollen die Gasteltern unsere beiden Schülerinnen also nicht mehr. Hmmm.

Gegen 9 verlassen die Lehrkörper die Feier mit dem Gefühl, dass der Abschied morgen schwierig werden wird.

 

 

 

 

David Klein

Montag, 20.03.2017

Den überwiegenden Teil des Tages verbringt die Reisegesellschaft heute in der Schule. Muss ja auch mal sein. Und macht auch Sinn, denn im Kibbuz gestern fielen so ein paar Begriffe und es kamen ein paar Ereignisse aus der Geschichte Israels zur Sprache, die nicht allen Krefelderinnen und Krefeldern geläufig waren.

Geschichts- und Politiklehrer Yehuda ist da genau der richtige Ansprechpartner, wenn es um das aktuelle Verhältnis zwischen Juden und Palästinensern und dessen kulturelle und historische Ursachen geht. In einer guten halben Stunde kann er die meisten Wissenslücken stopfen –jedenfalls notdürftig. Unsere israelischen Gastgeberinnen und Gastgeber helfen in den Pausengesprächen mit, das durchaus komplizierte Verhältnis zwischen beiden Volksgruppen transparenter zu machen. Wer sich dafür interessiert, der konnte heute viel lernen.

Vorher, so gegen kurz nach neun, hatte schon der Schulleiter hereingeschaut (links im Bild) und die Gäste aus Deutschland begrüßt. Er heißt Mendi - eigentlich Mr. Rabinovich - aber Nachnamen benutzt hier niemand.

Er sei nach wie vor ein bisschen stolz darauf, dass unsere beiden Schulen es schon sieben Jahre miteinander aushalten. In seiner kurzen Ansprache betont er, wie wichtig unsere Mission in den Zeiten der Globalisierung sei. Der Spaß solle bei einem Austausch nie zu kurz kommen, meint er. Bei gemeinsamen Aktivitäten auf der Bowlingbahn, beim Picknick und am Strand lerne man oft Lebensentscheidenderes, als in mancher Mathestunde, fügt er noch hinzu und sorgt damit für breite Zustimmung auf den Rängen. Richtig, lieber Blogleser: Dieses Wort gibt es gar nicht in der deutschen Sprache. Lebensentscheidenderes. Schon gut. Und wo ich gerade beim Entschuldigen bin: Mathematik ist ein durchaus sinnvolles Fach – und es kann sein, dass der Schulleiter an dieser Stelle auch „Biologie“ gesagt hat.

Gegen Mittag treffen wir David Klein. Der 91jährige Holocaust-Überlebende ist extra aus Tel Aviv angereist, um uns heute seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die Veranstaltung beginnt etwas später, weil David erst noch ein, zwei Zigarettchen rauchen muss, ehe es losgehen kann. Auf die Frage, ob Zigaretten angesichts seines wackligen Gesundheizszustandes nicht ungesund für ihn seien, antwortet er lächelnd: Ich war in Auschwitz. Wer Auschwitz überlebt, dem kann nichts mehr passieren. Auch wieder wahr.

David Kleins Geschichte reicht von der Deportation in Rumänien über seine Ankunft im Lager Auschwitz Birkenau und seine unglaubliche Glückssträhne, die ihn dreimal vor der Gaskammer bewahrt. Gegen Ende des Krieges überlebt er noch drei Todesmärsche nach Buchenwald, Theresienstadt und Dachau - und hat sogar noch ein viertes Mal Glück: die meisten Familienmitglieder überleben den Krieg und den Holocaust und treffen sich nach Kriegsende wieder in ihrem Heimatdorf. David Kleins Augenzeugenbericht kann man – wie auch viele andere – ausführlich bei Youtube verfolgen.

Nach fast zweieinhalb Stunden Vortrag scheint der alte Mann so gerade richtig in Fahrt zu kommen – unsere Delegation gibt ihr Bestes, um mit ihm mitzuhalten und ihm Fragen zu stellen. das gelingt auch trotz einer gewissen Müdigkeit, die sich so langsam im Auditorium breit macht.

Zusammen mit dem Film, den wir in Krefeld gemeinsam im Café Ojé gesehen haben und mit dem Vortrag von Eva Weyl im BMMG Forum vor gut drei Wochen, ergibt die Begegnung mit David Klein für viele unserer Mitreisenden jetzt schon ein klareres Bild von dem, was Juden und andere Minderheiten während des Nationalsozialismus erlitten haben. Warum alles so kam, wie es gekommen ist, kann David Klein bis heute nicht begreifen – schon gar nicht, dass der Holocaust von Deutschland ausging. Vor 1933 sei Deutschland für ihn das Land Goethes, Schillers und Beethovens gewesen, eines der kultiviertesten Nationen der Welt. Mit diesem ungelösten Geschichtsrätsel steht er nicht alleine da. Seine Mission sei jetzt, als lebendes Beispiel zu stehen für das, was passiert, wenn man Intoleranz und Fremdenhass gedeihen lässt.

Ein sehr kühler Wind weht über das Carmel Gebirge, als sich die Gruppe mit ihren Gastgebern gegen 16 Uhr auf den Heimweg macht. Für einige Gruppen bleibt noch Zeit, mal eben in der Shopping Mall oder am Strand vorbeizuschauen. Dem Sonnenuntergang schaden die 12 Grad nicht. Immerhin lässt der wolkenlose Himmel auf besseres Wetter für morgen hoffen.

Heute mal Religion mit etwas Landwirtschaft

Sonntag, 19.03.2017

Ein bei uns weitgehend unbekannter Religionsstifter hat in Haifa für die Sehenswürdigkeit Nummer Eins gesorgt. Am Fuße des Carmel Gebirges, direkt in Sichtweite der German Colony und von uns, liegt Baha’u‘llah begraben, der Begründer der Baha’i Religion. Klar, dass wir da mal hin müssen. Mit den israelischen Freunden im Schlepptau statten wir heute Morgen um halb neun den Baha’i Gärten einen Besuch ab. Immerhin 80 Jahre lang haben die Baha’i daran gearbeitet, dass der in 17 Terrassen angelegte Garten samt goldglänzendem Mausoleum so klasse aussieht, wie er soll.

Denn eine der Regeln der Baha’i ist es, die Schönheit der Natur zum Ausdruck zu bringen. Das sieht man auch, denn auf dem Weg treppabwärts erblickt der interessierte Besucher Symmetrie und Gartenkunst, so weit das Auge reicht. Nicht alle Besucher sind heute interessiert. Wer in Haifa wohnt, der kennt die Gärten natürlich und braucht keine Erläuterungen, selbst wenn sie – wie heute – von einem „echten Baha’i“ kommen. Einer von weltweit 8 Millionen. Der Mann hat Beides: einen schweren Stand und glücklicherweise eine Engelsgeduld. Daher schaffen wir die gut 700 Stufen einigermaßen entspannt. Am Schluss dürfen wir auch noch den Schrein selbst betreten – auf Socken und möglichst leise. Das klappt sogar ganz leidlich – aber zu sehen ist außer einigen Teppichen, einem kunstvoll geschmiedeten Vorhang und ein paar Kerzen nicht viel.

Unser heutiger Busfahrer ist, wie er sein soll: die Ruhe selbst. Diese Tatsache wird von einigen Delegationsmitgliedern erleichtert zur Kenntnis genommen. Sie wurden am vergangenen Wochenende durch die abenteuerliche Fahrweise der meist männlichen Gastfamilienoberhäupter geradezu traumatisiert. Die israelische Straßenverkehrsordnung scheint eher eine Art Empfehlungsschreiben zu sein: Tempo 30? Warten an Fußgängerüberwegen? Langsam fahren vor unübersichtlichen Kurven? Bei Rot anhalten, wo doch offensichtlich kein Querverkehr kommt? Kann man alles machen, muss man aber nicht. Ungewöhnlich… aber es scheint irgendwie zu funktionieren.

Der Bus bringt uns auf die andere Seite der Stadt zum Kibbuz Yagur. Dieser Kibbuz ist der Dinosaurier unter den aktuell noch existierenden Kibbuze. Der größte, fast der älteste und auch einer letzten seiner Art. Denn er arbeitet noch nach den originalen Kibbuz-Regeln. Betonung auf „noch“, denn der gelebte Sozialismus scheint auch hier nicht mehr zu funktionieren. Nicht mehr zeitgemäß, sagen die Mitglieder. Unsere Gruppe ist schon ein wenig stolz, als eine der letzten die Möglichkeit zu haben, den echten Kibbuzim bei der Arbeit zuzuschauen und ihnen Fragen stellen zu dürfen. Ein kleines Museum zeigt die Anfänge des auf Agrarprodukte spezialisierten Großbetriebs und danach geht es zum Kuhstall.

„Gut, es sind Kühe“ merkt eine Besucherin an – womit sie unzweifelhaft Recht hat – und auch wieder nicht, denn die einzige Existenzberechtigung, die diese Tiere haben, ist das Milch geben. Im Grunde könnte man sie auch „lebende Milchmaschinen“ nennen, denn ein einzelnes Tier schafft unfassbare 11500 Liter Milch im Jahr; der ganze Betrieb liefert 4 Millionen Liter jährlich.

Wir stören die Kühe ein bisschen beim Mittagessen; dafür versuchen sie, uns mit ihren langen schleimigen Zungen zu erwischen. Am Ende des Besuchs bleibt den meisten Montessorianern unklar, warum ein Kibbuz-Mitglied zwar arbeitet, aber kein Geld bekommt. Das fragen sich wohl auch die Kibbuzim selbst immer häufiger. Ab 2018 wird deshalb privatisiert.

Noch Lust auf ein Spielchen? Yehuda führt die Gruppe auf die Wiese vor dem Mensa-Gebäude. Nachdem fast alle Hundehaufen beiseite geräumt worden sind, kann das Spiel  - „Klammern“ wollen wir es nennen – beginnen. Die Szenen auf den Bildern unten zeigen, wie’s geht. Das macht Spaß und so findet dieser Tag des Austauschs ein würdiges Ende.

Der Bus muss um 3 zurück zur Schule – da fahren wir mit. Eine kleine Schar steigt schon vorher aus: verführerisch glänzt das große Shopping Center in der Sonne.

Schabat Action! (update)

Samstag, 18.03.2017

Arbeiten, das Benutzen elektrischer Geräte... alles verboten am Schabat. Unsere BMMGrupqpe war ganz schön unterwerfe e und hat heute fast das halbe Land bereist. Fotos aus Rosh HaNikra, aus dem Hängebrückenpark, aus dem Carmel Gebirge, von einer Bananenplantage --- die Gasteltern haben sich (schon wieder) mächtig ins Zeug gelegt, um unseren Reisenden zu zeigen, dass hinter der Klagemauer und jenseits des Gazastreifens auch noch Israel ist.

Diese Facetten des Landes tauchen selten oder gar nicht in unseren Abendnachrichten auf. Wahrscheinlich ist es überflüssig, es hier zu erwähnen, aber vorsichtshalber steht es noch einmal hier: Aus der Ferne und gefiltert durch die Medien lässt sich ein Land nicht erkunden. Hinfahren und selbst gucken macht viel mehr Sinn. Natürlich eine Binsenweisheit. Aber selbst ansonsten ernst zu nehmende Menschen verabschieden die Israel-Reisenden gern mit komischen Sprüchen wie "Du fährst sicher wegen der Bombenstimmung da hin." - "Genau, und wo ist deine Lederhose?" möchte man dann zurückfragen, aber der weltoffene Mensch weiß, dass solche Diskussionen nirgendwo hin führen. Sollen alle, die so denken doch in ihrem Schneckenhaus vertrocknen.

 

Am Schabat ticken die Uhren in Israel anders. Die meist unter Zeitnot arbeitenden Lehrpersonen dieses Austauschs merken es bereits auf dem Weg zum Frühstück. Der Hotelaufzug benimmt sich irgendwie merkwürdig. Es liegt wohl an dem Schild hier.

Dieser Fahrstuhl fährt ohne Knopfdruck. Man kann ihn nicht herbeirufen und auch keine Etage als Ziel anwählen. Er fährt den lieben langen Schabat jede Etage an und öffnet dort automatisch die Tür für Mitreisende, denen es nicht erlaubt ist, am Schabat elektrische Geräte per Knopfdruck in Gang zu setzen. In der Thora steht: "Du sollst am Schabat kein Feuer anzünden." (Exodus 35,3). Das bedeute, sagen die modernen Chef-Rabbis (Ober-Rabbiner), dass man keine Schalter betätigen darf. Denn so ein Schalter beginnt dann unter Umständen zu leuchten und dann hätte man als gläubiger Jude schon gegen das Gesetz der Thora verstoßen. So ein selbstfahrender Aufzug ist auch dann tabu, wenn er - wie in manchen Modellen neuerdings üblich - eine eingebaute Waage zur Überwachung des Gesamtgewichts hat. Betritt der gläubige Jude diesen Typ Aufzug, setzt er die Waage in Gang. Verboten!

Die Fahrstuhlinsassen kommen also schon zwei Minuten später an der Kaffeemaschine an, als noch am Vortag. Und hier beginnt schon das nächste Problem: Auch eine Kaffeemaschine hat ... genau, lieber Leser, liebe Leserin. Wie bekommt der Hotelgast am Schabat seinen Kaffee? Nun - das Schabat-konforme Hotel trägt dafür Sorge, dass der Knopf fürs heiße Wasser schon vor Sonnenuntergang betätigt wird. Den so gekochten Kaffee darf man dann trinken.

Und so geht es munter weiter. Autofahren geht schon deshalb nicht, weil man beim Öffnen der (automatischen) Tür einen Stromkreis schließt. Ist nicht erlaubt. Hat man eine mechanische Entriegelung. so geht spätestens beim Öffnen der Tür die Lampe im Innenraum an. Verstoß.

Ein weiteres Verbot ist das "Erschaffensverbot". Da Gott am Schabat geruht hat, sollen auch die Menschen nichts "erschaffen". Auch keine Babies.

Haifa ist eine sehr weltoffene Stadt und solche Probleme tauchen hier nur selten auf. Allerdings wohnen hier auch einige tausend ultraorthodoxe Juden, die sich an die Gesetze halten.