Gaanz schön steil.

Freitag, 24.03.2017

Wer es vorher noch nicht wußte, der hat es gestern gemerkt: Jerusalem ist auf Hügeln gebaut. Und das ist noch untertrieben. Heißen die Hügel doch zurecht ZionsBERG, ÖlBERG, TempelBERG und so weiter. Damit die ausgeschlafene Reisegruppe möglichst viele Facetten  der berühmten Stadt erleben kann, kombiniert das Tagesprogramm am heutigen angenehm temperierten Freitag gleich zwei Höhe(n)punkte.

 

Los geht es mit dem Zionsberg. In gut 20 Minuten schaffen wir unsere Stufen bis zum Dung Gate, legen noch einen Spurt durchs ebenfalls treppenreiche jüdische Viertel hin, ziehen die Gruppenmitglieder weg vom Schaufenster des besten Bäckers der Stadt und verschwinden flugs durch das Zionstor. Gleich außerhalb der Stadtmauer liegt die Dormition Abtei, betreut von deutschen Benediktinern.

Kaiser Wilhelm Zwo war nicht nur der letzte deutsche Kaiser und etwas wirr im Kopf. Er war auch großer Jerusalem-Fan und als solcher um die Jahrhundertwende aus dem fernen Deutschland in die heilige Stadt gereist, Er hat dieses Fleckchen Erde einst erworben, eine Kirche finanziert und das Ganze dann dem Orden vermacht. Und warum das alles? Hier ist nach alter Überlieferung der Sterbeort der Muttergottes.

Die kleine BMMG Abordnung begibt sich in die Krypta und zündet vor der dort ruhenden Marienstatue das ein oder andere Kerzchen an. Es ist angenehm ruhig hier – ganz anders als draußen, wo Pilgergruppen inzwischen den Berg in Besitz nehmen. Schon kommen die nächsten vierzig, fünfzig Männer und Frauen um die Ecke, alle mit orangenen Hüten bedeckt und angeführt von einem Touristenführer, der eine ebenfalls orangefarbene Fahne hoch hält. Sieht alles sehr lustig aus, finden die stilbewußten Krefelderinnen. Wie es wohl aussähe, wenn man die 2018er BMMG Israel-Gruppe mit leuchtend blauen BMMG Käppis ausstatten täte? Und vorneweg zwei Lehrkräfte, die eine gigantische BMMG Logo-Fahne vorantragen...

Minuten später hat unsere Delegation Sehenswürdigkeit Nummer zwei erreicht. Nach ein paar Stufen erreicht man den Abendmahlssaal. Hier soll es gewesen sein, das letzte Abendmahl. Etwas uninspiriert und überhaupt nicht beeindruckt schaut sich die Gruppe in diesem Raum um. „Kein Tisch da,“ heißt es von links, Das ist zweifellos fein beobachtet. Genau genommen stimmt hier gar nichts. Der Raum ist erst gut 800 Jahre später entstanden, liegt dafür aber günstig direkt neben dem Eingang zum Grab  von König David. Damit hat ein findiger mittelalterlicher Tourismusmanager zweifellos eine gute Idee gehabt. Auch das Grab von König David wird von uns besucht.

Hier ist schwer was los. In einem kleinen Vorraum drängen sich schwarzgekleidete Orthodoxe. Einige sitzen auf Gebetsstühlen, andere haben ihre Schriften auf Stehpulte gelegt. Im noch kleineren Nebenraum steht der Sarg des ersten Königs der Juden – auch er wird kräftig bebetet. Man spricht nicht gemeinsam, sondern jeder murmelt, singt oder schreit seine Botschaft heraus. Einer schaukelt den anderen hoch, bis die Gewölbe dröhnen. Wir gehen wieder und erfahren von den Damen, dass auf ihrer Seite zwar auch gebetet wird, aber ohne dieses ganze Spektakel. „Männer!“ kommt es von irgendwoher.

Wir wollen weiter, aber Jan und Felix sind gerade im Gespräch mit einem jüdischen Beter, der ihnen eine Art Visitenkarte zusteckt. Wollen sie etwa konvertieren? Wir ziehen sie aus dem Raum.

Am Grab von Oskar Schindler hören wir dessen Lebensgeschichte. Als „Gerechter unter den Völkern“ ist er einer der wenigen Deutschen, die hier auf dem christlichen Friedhof am Zionsberg begraben liegen. Nur 3 von 20 anwesenden Schüler/innen haben den Film „Schindlers Liste“ gesehen. Na gut, die Veröffentlichung ist ja auch schon eine Weile her. Als Israelreisender, der sich mit dem Holocaust beschäftigt, ist der Film aber ein Muß – trotz einiger kitschiger Passagen.

Das soll dann für den Vormittag auch genug sein. Die etwas müde, aber immer noch motivierte Truppe spaziert entlang der Stadtmauer zum Jaffa Gate, wo es eine längere Pause gibt. Die Altstadt Basare locken ebenso wie die moderne Mamila Mall. In beiden kann man Geld ausgeben, aber während in der Mall alle Waren mit Preisschildern versehen sind, sucht man diese in der Altstadt - besonders bei den arabischen Händlern - vergebens.

Hier ist hartnäckiges Verhandeln angesagt. Da wir unzweifelhaft als Touristen identifiziert werden können, beginnen die Händler ganz oben auf der Preisskala. Ein schöner Kaschmirschal beginnt bei 120 Schekeln (35 Euro), der gewiefte Kunde winkt ab und murmelt, das Ding sei doch nur weniger als die Hälfte wert - der Händler in der Parallelstraße habe Schöneres, Besseres im Angebot. Es kommt dann als Nächstes leichte Bewegung in den Preis. 100 Schekel ist schonmal ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch viel zu viel. Bei 50 wäre man bereit, nochmal drüber nachzudenken, bietet der Kunde an. Der Händler jammert, das sei unfair, denn seine Kosten seien höher. In dieser Phase heißt es hart bleiben. Der Tourist sollte sich jetzt zum Gehen wenden. In der Regel wird er dann zurück gerufen, etwa mit "Zwei für 150!" oder einem ähnlichen Freundschaftsangebot. Dann kann man langsam den Endpreis ins Visier nehmen: Für 60 nehme ich den einen, könnte die Reaktion lauten.

Diese Taktik lässt sich für alle angebotenen Waren anwenden, auch für Jesus in der Krippe - wobei das mit dem Mengenrabatt hier so ne Sache ist.

Du siehst, lieber Freund dieses Blogs, hier ist Geschick, Menschenkenntnis und Ausdauer angesagt. Und Mitleid ist Fehl am Platz, denn 60 für den Schal ist immer noch ein guter Preis  -- für den Händler. Das merkt der Tourist spätestens dann, wenn er eine Straße weiter läuft und den Schal für die Hälfte angeboten bekommt.

Die längere Pause ist so gegen Viertelvorzwei vorbei. Entspannt und gestärkt sitzt die Gruppe am Jaffa Gate und macht sich bereit für den zweiten Teil des Tages.

Ziel ist nun das Lions Gate am anderen Ende der Altstadt, von wo es dann später auf den Ölberg gehen soll. Der Reiseleiter hat allerdings noch einen kleinen Umweg eingebaut. Heute ist ja Freitag, der Haupt-Gebetstag der muslimischen Bevölkerung, und am frügen Nachmittag machen sich die Gläubigen auf in die verschiedenen Moscheen rund ums Damascus Gate im arabischen Viertel. Genau da hin lenkt Hamke nun seine Schritte, wobei die 20-Personen-Schlange schon bald Mühe hat, "dranzubleiben". Der Weg geht mal wieder mitten durch den Souk und es gibt einige Richtungsänderungen. Sie müssten doch eigentlich die Stelle beim Bäcker kennen, denkt sich der Mann an der Spitze - da geht es im Zickzack zur Klagemauer -- aber nein: heute müssen wir nach links. Schon haben wir drei, vier Teilnehmer verloren, denn das Gewühl wird immer dichter.

 

Wie Zahnpasta durch die Tube schieben sich die Menschen jetzt durch die Gassen. Die Auslagen einiger Stände werden in Mitleidenschaft gezogen, denn die Menge  muss sich durch diverse - heute viel zu enge - Torbögen quetschen, um ans Ziel zu gelangen. Kinder drohen von den sich drängenden Leibern erdrückt zu werden, Frauen versuchen, sich von Männern fern zu halten und umgekehrt, jede Berührung zu vermeiden - aussichtslos.

Als in dieser Situation nicht hilfreich erweist sich die Tatsache, dass wir dem Strom der Menschenmassen entgegen gehen, müssen wir doch gerade jetzt in die andere Richtung.

Liebe Leserin und lieber Leser dieser Zeilen; wenn ihr der Meinung seid, dass das ganze Geschiebe in Platzangst, Hysterie und Panik enden könnte, dann ist das nicht ganz falsch. Bemerkenswert ist aber, wie die Beteiligten größte Vorsicht und größten Respekt walten lassen, damit jeder ans Ziel kommt. Auch wir mit unseren Rucksäcken, die wir leicht als "Ungläubige" Touristen erkennbar sind, werden nicht etwa weggedrängelt und beschimpft. Man versucht uns, so gut wie möglich Platz zu machen und uns durch zu lassen. Assistiert werden wir heute von einem schmächtigen Brotverkäufer, der seine Ware in einem großen Karton in der Nackenbeuge balanciert ind sich in unsere Richtung bewegt. Er bahnt uns den Weg bis zu einer Wegkreuzung, an der es dann wirklich nicht mehr weiter geht. Die Gruppe - inzwischen irgendwie in der Menge verschoben und geteilt - flüchtet in eine Seitengasse, um die Lage zu besprechen.

Man könnte die menschenleere Parallelstraße benutzen, meint das Fußgänger-Navi. "Langweilig" ist allerdings die Reaktion auf diesen Vorschlag. Wir versuchen es lieber mit einer neuen Taktik, fassen uns an die Schultern und schieben uns als Personenzug durchs Getümmel. Das geht fünd Minuten gut; dann werde die einzelnen Waggons getrennt.

Schließlich erreichen wir leicht zerzaust, aber soweit unversehrt das Löwentor "Lions Gate"

Bevor es den Ölberg hinauf geht, führt der Weg erst einmal ins Tal. Hier am Fuße des "Mount of Olives" besuchen wir das Mariengrab. Das Grab der Gottesmutter wird hier seit dem 4. Jahrhundert vermutet und verehrt. Der Ort ist eindrucksvoll -- so eindrucksvoll, dass manche Delegationsteilnehmer ihn für die Grabeskirche von Jesus halten.

Wer ist wohl schon alles über diese breiten, speckigen Stufen ins Halbdunkel der Grotte hinuntergestiegen? Unfallfrei erreichen wir das Grab, das in einer kleinen Nische unter einem Altar untergebracht ist.

  vor der Getsemani Kirche

Gleich daneben ist der Eingang zur Getsemani- Grotte. Hier hat Jesus am Gründonnerstag gebetet und im Garten nebenan wurde er bekanntlich von Judas verraten. Angenehme Stille empfängt unsere kleine Pilgergruppe. Ein Geistlicher sorgt für Ordnung und Geleit. Er verteilt am Ausgang kleine Ölzweige, und - nein, er will kein Geld dafür.

Der Garten Getsemani scheint dagegen heute ein Epizentrum des Pilgertourismus zu sein. Größere Gruppen marschieren an den uralten Olivenbäumen vorbei Richtung der "Kirche der Nationen", angeführt von ihren Fähnchenträgern. Etwas weniger organisierte Guides schwenken auch schonmal eine leere Wasserflasche über dem Kopf, um die Gruppe zusammenzuhalten. Ist ihnen klar, dass die Olivenbäume hier vermutlich die ältesten Lebewesen sind, die sie je zu Gescicht bekommen haben? 

Die Fragen, die sich aus dem Szenario von diversen Kirchen, Garten und Ölberg ergeben, veranlassen den Lehrkörper dazu, erst einmal eine Nachhilfestunde in Sachen biblischer Geschichte einzulegen. Die Vielzahl von heiligen Stätten hat das Zeug dazu, einen jungen Menschen historisch und religiös ordentlich zu verwirren, selbst wenn er eine bischöfliche Schule besucht.

Auch in die Kirche der Nationen - die "Todesangstbasilika" - blicken wir kurz, bevor wir rechts um die Ecke biegen und den schmalen asphaltierten Weg betrachten, der auf den Ölberg führt. "Da kann man ja mit dem Auto hoch" - stellt ein Mitglied der Reisegruppe verwundert fest. "Wo ist denn eigentlich unser blauer Bus? Kommt der gleich?" möchte jemand wissen. "Jesus ist hier auch zu Fuß hoch", versucht Hamke die Gruppe angesichts der 25% Steigung zu motivieren. Er verschweigt dabei geflissentlich, dass Jesus vermutlich auf einem Esel hier heraufgeritten ist.

Es hilft also nichts - wir müssen da hoch. Jesus hat zwischendurch eine Pause eingelegt - dort, wo heute die schöne Kapelle "Dominus Flevit" mit dem berühmten Fenster steht. Der lateinische Name bedeutet "Der Herr weinte." - Er weinte aber nicht über den Zustand seiner Füße nach dem Marsch hier herauf, sondern die Bibel berichtet, Jesus habe hier beim Blick auf die Stadtmauern eine Vision gehabt, in der er den Untergang der Stadt Jerusalem vorhersah. Und etwa 40 Jahre später ist es dann ja auch passiert.

Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir (...).

Von hier ist es nur noch ein kleines Stück bis zum Gipfel. Insgesamt hat der Aufstieg inklusive Pause nur 45 Minuten gedauert. Rekordverdächtig. Gut, dass uns das Wetter hier schon den ganzen Tag mit freundlichen 18-19 Grad entgegen gekommen ist.

Der Gipfel ist, gemessen an der Anstrengung, eher unspektakulär. Die Sicht ist natürlich toll - aber sonst? Gäbe es da nicht den legendären Kamelbesitzer, der seit Jesus' Zeiten dort oben auf Touristen wartet. Sein Kamel ist vermutlich in all den Jahren auch nicht ausgewechselt worden. Es sieht ziemlich ramponiert aus, vor allem an den Knien. Wir glauben dem Kamel-Mann, dass das so sein müsse und dem Kamel auch gar nichts ausmache. Nach kurzen, aber harten Verhandlungen ist der Preis für einen Ritt auf schülerfreundliche 4 Euro gesunken, so dass sich der ein oder andere Jockey auf das schwankende Wüstenschiff wagt.

 

Die Sonne fängt schon an, leicht schräg zu scheinen, als das Ende des Tagesprogramms in Sichtweite kommt. Drei, vier BMMG Pilgerinnen haben in der Ferne das Hotel erspäht und lassen deshalb den vorläufig letzten Punkt der heutigen Agenda aus: Die Paternosterkirche. Auch sie ist auf dem Ölberg angesiedelt. Hier soll Jesus den Jüngern das Vaterunser beigebracht haben. Wir gehen hin.

Das Vaterunser lässt sich hier in 220 Sprachen studieren - Kirche und Garten hängen voller Schrifttafeln. Wir entscheiden uns heute für Plattdeutsch und für einen Indianerdialekt. Mit beiden haben wir so unsere Probleme bei der Aussprache - und trotzdem klingt es immer wie das Vaterunser. Faszinierend.

Der Tag endet für einige Montessorianer im Hotel. Gut 15 Kilometer sind sie heute durch die Stadt gelaufen. Eine größere konditionsstärkere Gruppe schafft es noch zurück in die Altstadt, um zu Beginn des Schabat an der Klagemauer zu sein.

Waren es heute Mittag noch tausende Muslime, die die Altstadtgassen bevölkerten, so sind es jetzt mindestens genau so viele Juden, die, alle in Schwarz, mit langen Mänteln und kuriosen Hüten, zur "Western Wall Plaza" strömen. Viele Soldatinnen und Soldaten feiern ebenfalls in der heiligen Stadt freitags abends die Rückkehr von ihren Missionen.