Toda Haifa -- Hallo Jerusalem

Mittwoch, 22.03.2017

Ach, was sind das für herzzerreißende Szenen, die sich da am frühen Morgen vor der Reali School abspielen. Junge Menschen, die sich erst vor wenigen Tagen begegnet sind, liegen sich in den Armen – und das gleich rudelweise. Irgendjemand ist sogar so vorausschauend gewesen, einen Karton Zewa Tücher mitzubringen. Denn der Tag des Abschieds ist gekommen. Zwar nicht für immer, denn schon im Herbst gibt es ein Wiedersehen in Krefeld, aber das nützt heute nichts.

Weil der Antrag auf eine morgendliche Freistunde zwecks standesgemäßer Verabschiedung der deutschen Gäste von Yehuda mit einem freundlichen „Who are you? I don’t know you.“ beantwortet wird, kann die Montessori-Pilgertour relativ pünktlich beginnen. Denn ab heute reihen wir uns in den Strom indonesischer, koreanischer, deutscher, amerikanischer und weiterer unidentifizierbarer Reisegruppen ein, die die heiligen Stätten hier in Galiläa besuchen.

Erste Station ist der Berg der Seligpreisungen. Das Briefing zu diesem Ort übernimmt Jan, der sogar ein Handout mit allen relevanten Bibelstellen mitgebracht hat.

Wir ergattern einen der Open-Air Gebetsplätze und hören von Lynn auch noch etwas zur Wasserwirtschaft Israels und die Bedeutung des See Genezareth. Der hat sich heute Morgen komplett in Nebel gehüllt. Man sieht nix. Dazu ist es auch noch stark bewölkt. Womit wir beim Wetter wären.

In Israel erleben wir derzeit eine kleine Klimasensation, hätten aber gern drauf verzichtet. Es ist der kälteste März seit 30 Jahren. Autos freikratzen müssen wir zwar nicht – denn wir haben gar kein Auto hier -  aber des Nachts werden die Temperaturen einstellig. Wäre ja nicht schlimm, aber israelische Wohnungen und Häuser sind für die kühle Witterung einfach nicht ausgestattet. Meist keine Heizung, undichte Fenster und nur notdürftig isoliert. Das dürfte auch für Hotels aus den 70ern gelten –und ganz sicher für das Hotel in Jerusalem.

Doch bis dahin sind es noch etwa 200 km. Und noch ein paar Haltestellen. In Tabgha bewundern wir Bodenmosaike und hören die Geschichte von der Brotvermehrung, die hier stattgefunden haben soll.

Etwas weiter steht der Fels, dem Petrus seinen Namen verdankt. Hier am Ufer des Sees hat Jesus ihn gefragt, ob er sich zutraue, sein Werk weiter zu führen. Frederik ist vermutlich der Leichteste von uns und damit der ideale Kandidat für einen Spaziergang übers Wasser. Das soll hier ja funktionieren. Frederik lehnt nach kurzem Blick auf die unvorteilhaft aussehende braune Brühe des Sees dankend ab mit dem Hinweis, er habe seinen neuen Sneakers an und wolle jetzt grade nicht übers Wasser laufen.

Noch ein Stück weiter liegt Kafarnaum, Heimat von Petrus und von weiteren Jüngern. Das wissen auch die indonesischen Pilger, die wir schon am Berg der Seligpreisungen getroffen haben. Die Busse auf den Parkplätzen sind auch immer die gleichen. Es erinnert alles ein wenig an das Lied mit der Karawane.

Da bietet sich doch genau an dieser Stelle für uns ein Kontrastprogramm an. Unser Geburtstagsbusfahrer lenkt daher sein Gefährt am Ostufer des Sees entlang zum Eden Resort Kibbuz Ma’agan. Die Kibbuzniks haben hier schon vor längerer Zeit aufgehört, als Bauern zu leben. Ihr Grundstück direkt am Südufer des Sees ist jetzt ein beliebter Ferienpark mit Schwimmbad, Wellness und Liegewiese. Also genau das, was der Israel-Reisende nach so vielen heiligen Stätten  braucht. Einen Ort der Ruhe und Entspannung. Leider hat das Resort noch geschlossen, aber wir dürfen trotzdem rein und suchen uns ein schönes Plätzchen.

Und siehe da: wie durch Zufall schafft es die Sonne endlich, den Nebel aufzulösen und die Sonnenanbieter entsprechend zu bedienen. Na, ob das alles Zufall ist? Natürlich nicht. Die vielbeschäftigten Reiseleiter haben es nämlich nicht versäumt, in der Brotvermehrungskirche eine Kerze anzuzünden. Das hilft immer.

Der See ist hier einladender als noch in Kapharnaum auf der Nordseite. Tatsächlich verstoßen dann bedauerlicherweise einige BMMG-Pilgerinnen und Pilger gegen das bezirksregierungsverordnete Nichtschwimmergebot und tauchen in die Fluten des See Genesareth ein – so überliefern es uns wenigstens später diejenigen, die es gesehen haben. Der Lehrkörper hat zu diesem Zeitpunkt nämlich gerade dem Ort des Geschehens den Rücken zugewandt, weil er ein interessantes Detail an der Holzverkleidung der geschlossenen Eisbude studiert.

  

Drei Minuten weiter erreicht der Bus Yardenit -  die Stelle, an der Jesus von Johannes dem Täufer im Jordan getauft worden sein soll.

Kurz überlegen wir, es Jesus gleichzutun, denn im Shop läßt sich das Täufer-Kit, bestehend aus langem weißen Gewand und einem Rabattgutschein für die live produzierte Video DVD für 35 Dollar billig erstehen. Angesichts des Zustand des Jordanflusses  - einer schmutzig grünen Brühe mit allerlei Getier drin – findet dann doch keine BMMG Wiedertaufe statt. Unsere indonesischen Freunde, die uns schon den ganzen Tag zu den heiligen Stätten folgen, lassen sich aber nicht abhalten und taufen munter drauflos. Als Erinnerung an diesen Ort wandern einige Plastikflaschen mit Original Jordanwasser in die Rucksäcke. So richtig einladend sieht die abgefüllte Flüssigkeit auch in den mäßig schicken 3 Dollar Plastikfläschchen nicht aus. Egal – die Lieben daheim freuen sich sicher, und das ist die Hauptsache.

Damit ist der See zur Hälfte umrundet und Megdi schwenkt auf die Landstraße nach Jerusalem ein. Diese führt uns durch Palästinensergebiet, das aber von Israel kontrolliert wird. Es rumpelt und holpert ganz schön, denn es handelt sich hier um  eine der wenigen Straßen-Direktverbindung zwischen Nord und Zentral-Israel. Beim Straßenbau ließen sich die israelischen Behörden generell viel Zeit, sagt Hotelchef Mohammed später. In der Westbank und in Ostjerusalem sehe es noch düsterer aus. Seit 60 Jahren sei kein Straßenbauprojekt mehr angegangen worden. Die Piste unter den Reifen des Tourbusses muss also noch von den Briten geteert worden sein. Dafür wiederum fährt es sich noch ganz angenehm.

 

90 Minuten dauert es, dann biegt Megdi rechts ab und verläßt die Straße, die genau an der Grenze zu Jordanien verläuft. Das Tagesprogramm war wohl doch anstrengender als gedacht – oder ist es das leichte Schaukeln des Busses, wenn er über die Bodenwellen fährt? Jedenfalls tritt plötzlich eine meditative Stille im Bus ein. Die Sonnenblenden sind heruntergeklappt und Jacken – wer braucht sie schon? – werden zu Kopfkissen. Schlaf ist nötig für junge Leute, aber schade ist es schon, wenn draußen die Farbe der Landschaft von grün zu braun zu beige wechselt und der Reisende dieses Schauspiel verpasst. Schon nach einer Stunde Fahrt ist von den Wiesen und Plantagen Galiläas nichts mehr zu sehen. „Jetzt weiß ich, wovon in Erdkunde die Rede ist, wenn der Begriff ‚unfruchtbarer Boden‘ benutzt wird.“ meint ein Mitglied des besten Geografiekurses der Welt.

Das Panorama-Hotel liegt im Ostteil der Stadt. Die meisten Reisenden haben vor Beginn des Austauschs außer bei den Informationstreffen in der Schule und im Cafe Oje keine weiteren Recherchen mehr betrieben. Entsprechend groß ist der Kulturschock, der sich schon beim Blick aus dem Busfenster einstellt. Die arabische Welt im Ostteil der Stadt hat andere Wertvorstellungen, als man so von zuhause gewohnt ist.

 

Der Bus fährt durch das Ras-al-Amud Viertel. Vorbei geht es an Obsthändlern, die ihre Stände fast bis zur Fahrbahnmitte ausgedehnt haben. Dazwischen wäscht ein 8jähriger Junge Papas Auto – einen verbeulten Subaru-Toyota. Zwei Beine, die unter einem Auto hervorgucken sagt uns: aha – eine Werkstatt. Aus der Einfahrt dahinter rangiert ein Lastwagen mit Bauschutt rückwärts in den laufenden Verkehr. In das Konzert der Motoren und Baugeräte mischen sich --- Stimmen. Arabische Männer (Frauen sind nicht zu sehen) schaffen es mühelos, sich akustisch über diesen Klangteppich zu erheben. Die arabische Sprache scheint auch wie gemacht für diese Art Konversation.

Das Hotel ist aus den Siebzigern und seit je her in Besitz einer arabischen Familie. Es hat nicht ganz den Standard europäischer Häuser, um es mal vorsichtig auszudrücken. Irgendwie funktioniert die Ausstattung, aber manchmal muss man auch hoffen und beten, dass etwas klappt. Steckdosen zum Beispiel sind dazu da, Strom abzugeben. Sie müssen ja nicht schön aussehen oder vollständig in der Wand stecken. Mit einem Dreifachstecker versehen versorgt eine Dose den ganzen Frühstücksraum mit Energie. Zwei Wasserkocher und ein Toaster? Kein Problem, wenn man nicht ans Kabel fasst. Weitere Bespiele ließen sich nach Belieben anfügen (Fenster, Heizung, Frühstück, Aufzug, Wlan, Dusche …).

Diese kleinen Komfort-Defizite werden aber durch viele Vorteile ausgeglichen. Familie Aweidah, die mit Onkel, Tanten, Enkel, Großeltern und diversen angeheirateten Cousins, Cousinen und Schwippschwagern das Hotel führen, kümmern sich rührend um die deutschen Gäste (und die anderen natürlich auch). Das Hotel bietet grandiose Ausblicke auf die Altstadt, der Felsendom begrüßt den Gast täglich mit seiner goldenen Kuppel und der Weg dorthin ist mit ca. 20 Gehminuten auch nicht unmenschlich weit.

Verzichten können hätte die Reisegruppe aber auf die Nähe zur Stadtteilmoschee. An „Allahu Akbar“ morgens um 4 muss man sich gewöhnen. Auch die zweihundert soundsoviel Treppenstufen, die zwischen Hotel und dem Stadttor Dung Gate liegen, können den untrainierten (Lehr)Körper ganz schön ins Schwitzen bringen.

Nach kleinen Korrekturen an der Zimmerverteilung und am Mobiliar macht sich die ganze Gruppe Richtung Klagemauer auf den Weg. Noch ein kleiner Sicherheitscheck wie am Flughafen und man kann den Platz betreten. Und was sieht der Tourist? Schwarz gekleidete Herren mit seltsamen Hüten - und wir mittendrin. Wir haben immerhin eine Kippa.